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16.09.2019: Konsequenzen aus Missbrauchsskandal Lügde?

Der Landtag NRW hat mit dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Missbrauchsskandal von Lügde nach Einsetzen der Rechtskraft der Verurteilung beider Haupttäter begonnen. Auch eine Expertenanhörung im Landtag am 24.06.2019 sollte Maßnahmen für einen besseren Schutz von Kindern vor Missbrauch aufzeigen.

Problematisch erscheint vor dem Hintergrund der öffentlich gewordenen Fehler und Versagensmomente (individuell und auch systematisch), dass eine Verschärfung des Strafrechts(1) gefordert wird. Was sich emotionell zunächst als scheinbar positiver, nachvollziehbarer Ansatz zeigt, lenkt leider von den tatsächlichen Änderungsnotwendigkeiten ab und birgt unter anderem die Gefahr, dass Zeit und Ressourcen in einer solchen Diskussion unnötig vergeben werden und wesentliche Maßnahmen unterbleiben.
Nach bisheriger Rechtslage können solche Verbrechen mit einem Strafmaß von 10 Jahren Freiheitsentzug bestraft werden.
Das hat bisher die Täter nicht davon abgehalten, solche Straftaten in einem unvorstellbaren Ausmaß auch gemeinschaftlich durchzuführen. Eine Veränderung des Strafrechts wird solche Straftaten auch in Zukunft nicht verhindern.

Die Hintergründe, die überhaupt zu einer Ermöglichung und Fortführung des massenhaften Missbrauchs in Lügde geführt haben, sind mit den Missbrauchsskandalen in anderen Regionen, Zusammenhängen und Ländern prinzipiell identisch und haben keinerlei Begründung in der Höhe einer angedrohten Strafe.
Wesentlich waren andere Probleme, die dringend geändert werden müssen: Es wurde vertuscht, weggesehen und geschwiegen. Im Fall Lügde gibt es sogar Äußerungen, dass es Bedrohungssituationen in Momenten gegeben hat, in denen Zeugen ihre Befürchtungen gemeldet haben. Zudem wurde der Verdacht geäußert, dass höher gestellte Personen in der Sache involviert sind. Schließlich bleibt bisher auch die noch ungeklärte Frage im Raum, was mit den aus Polizeiräumen verschwundenen Beweismitteln geschehen ist(2,3).

"Lügde" ist kein Einzelfall. Die Skandale langjährigen, systematischen Missbrauchs in Kirchen, Glaubensgemeinschaften, im Sport, in Schuleinrichtungen und auch in der Film- und Medienwelt belegen, dass die zugrundeliegenden Strukturen und ein systematisches Wegsehen die eigentlichen Kernprobleme sind, dass Menschen ihre Stellung in ausnutzender Weise ausüben können und gleichzeitig Zeugen von Auffälligkeiten schweigen oder nicht gehört werden.

Es sind wesentliche Änderungen außerhalb von strafrechtlichen Erwägungen nötig, darunter eine Reihe von Punkten, die ju care Kinderhilfe schon seit Jahren fordert.
Dazu zählen unter anderem Veränderungen bei Jugendämtern (bessere Ausbildung, mehr Personal, bessere Vernetzung mit Trägern der freien Kinder- und Jugendhilfe, weniger eigenmächtige Handlungsweisen) und eine bessere Vernetzung zwischen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe.
Aber auch im privaten Umfeld ist eine wichtige Änderung notwendig: Darüber reden und nicht wegsehen.
Hier geht es nicht um spekulative Verdächtigungen, um "merkwürdige" Nachbarn zu diskreditieren. Es geht darum, bei konkret beobachteten unangemessenen Verhaltensweisen ein Problem direkt anzusprechen und zu klären. Dabei dürfen weder verwandtschaftliche, freundschaftliche oder arbeitsrechtliche Verhältnisse einen Hinderungsgrund darstellen, und erst recht darf es dabei keine Bedrohungssituation durch Polizei, Justiz oder Jugendämter geben, wenn ein konkret vorhandenes Problem gemeldet wird.
Mit einem solchen direkten Ansprechen von Verdachtsmomenten können auch falsche Verdächtigungen aufgeklärt werden, auch diese Problematik ist kein Einzelfall und kann zu erheblichen Belastungen führen.

Es bleibt zu hoffen, dass sich die Fachkreise und politisch Verantwortlichen nicht an Diskussionen wie einer strafrechtlichen Veränderung abarbeiten, die in allen Missbrauchsskandalen sicherlich keine Rolle gespielt haben dürfte. Änderungen sind an zahlreichen anderen Punkten dringend notwendig und bedürfen einer Zuteilung von Ressourcen, die nicht an den tatsächlichen Problemen vorbeizielt.

Quellenangaben:

(1)
Welt.de, 20.07.2019: "Missbrauch und Kinderpornografie sollen härter bestraft werden"

(2,3)
WDR, 21.02.2019: "Missbrauch in Lügde: Beweise weg, für Minister 'Polizeiversagen'"

WDR, 22.02.2019: "Fall Lügde: Polizeianwärter sichtete Beweis-CDs"

Autorangaben:

Oliver Jungjohann, 16.09.2019

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