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05.03.2010: Missbrauchsskandale und die Bereitschaft, zuzuhören

Missbrauchsskandale erschüttern in diesen Monaten ganz besonders die Öffentlichkeit, es geht um Skandale in Kirchen, Schulen, Internaten, Einrichtungen.
Die katholische Kirche steht massiv in der Kritik, Einrichtungen wie das Kloster Ettal, die Regensburger Domspatzen, Kinderheime in Deutschland und in Irland, aber auch nichtkatholische Einrichtungen wie die Odenwaldschule oder das Franz Sales Haus in Essen.
Im Moment vergeht kaum ein Tag, an dem nicht wieder ein Artikel zu sexuellem Kindesmissbrauch oder Kindesmisshandlung erscheint.

Nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die Verantwortlichen und die Politiker fragen sich, was zu tun ist, wie man so etwas verhindern kann.
In den Diskussionen kommen auch Opfer zu Wort, und ständig fällt als zentraler Satz:
"die Bereitschaft, zuzuhören".

Dieses Kernproblem hat wesentlich mehr mit den Folgen, aber auch mit den Wurzeln von seelischem und sexuellen Missbrauch und körperlicher Misshandlung zu tun, als wir uns das im ersten Moment eingestehen wollen.
Das betrifft Verantwortliche in Gemeinden, Familien, Schulen, Familien, aber genauso auch in Ämtern und Gerichten.

Man will oft nicht wahrhaben, dass es in einem betreffenden Bereich komplett anders sein kann, als man sich das immer gewünscht oder gedacht hat:
"sowas gibt es bei uns nicht, das kann niemals sein", oder aber: "es ist unmöglich, dass das ein falscher Vorwurf ist".
Solche Vorstellungen sind natürlich auch immer emotionell sehr stark belastet.

Nicht zuhören wollen - die Lücke für TäterInnen, aber auch ein Problem der Schutzeinrichtungen und Behörden: der mangelnde Kooperationswille

Genau diese Haltung schafft Raum für ein Verschweigen, für die Anbahnung von Übergriffen oder sogar für fortgesetzte Übergriffe, aber genau die gleiche Haltung schafft ebenso den gleichen Raum für falsche Beschuldigungen, für ungerechtfertigte Handlungen gegen Familien und ihre Angehörigen.
Es gibt die falschen Anschuldigungen und sogar Verurteilungen im Namen des Volkes ebenso wie die verschwiegenen Übergriffe, die jahrelange oder jahrzehntelange Deckelung furchtbarer Taten.
Denn wo nicht kommuniziert wird, weil man das eben nicht hören will, was man nicht glauben mag, nimmt man Kindern auch jeglichen Schutzraum für Aussagen über Situationen, in denen sie die Betroffenen sind.

In den Medien wurde in den letzten Monaten im Zusammenhang mit Diskussionen und Überlegungen zu Konsequenzen und möglichen Lösungsansätzen häufiger eine grundlegende Formel in dieser oder ähnlicher Weise veröffentlicht:
"Bereitschaft, zuzuhören".

Das trifft den Kernpunkt der Probleme, denn eine Offenheit für Kommunikation entgegen aller eigener Vorurteile und eigener Meinungen ist oft die zentrale Grundproblematik gewesen, und sie ist es heute noch.
Die Haltung z.B. in tiefreligiösen Gruppierungen der damaligen Jahre, dass "so etwas" niemals sein könne, gibt es heute noch genausogut in Familien, Einrichtungen, Gemeinden, Hilfsorganisationen und auch bei Ermittlern und Richtern.
Das betrifft beide Richtungen der Vorwürfe, d.h. man ignoriert einerseits die Existenz tatsächlicher Übergriffe, und andererseits ignorieren Menschen auch mit der gleichen Einstellung die Existenz falscher Vorwürfe, weil sie überzeugt sind, dass Kinder so etwas nicht ohne tatsächliche Missbrauchserlebnisse sagen würden.
Sobald Kinder in irgendeiner Richtung beeinflusst sind, werden sie tatsächliche Übergriffe entweder nicht preisgeben, oder aber auch falsche Beschuldigungen äußern, je nachdem, wie die Beeinflussung gesetzt wurde.
Die Aufdeckungen der letzten Monate haben endlich einmal in der Öffentlichkeit unzweifelhaft gezeigt, dass die Kernthematik der völlig offenen und vorurteilsfreien Kommunikation wieder ganz neu aufgegriffen, verbessert und in vielen Fällen überhaupt erst einmal realisiert werden muss.

Verschweigen und Falschbeschuldigungen - ein gemeinsamer Ursprung

Und nach unserer Überzeugung zeigen diese Ereignisse auch eine weitere Notwendigkeit:
dass jeder Mechanismus, der dazu führen kann, dass Kinder in der einen oder in der anderen Richtung falsche Aussagen tätigen, verhindert werden muss.
Die Kirche, die Schulen und sonstige Jugendeinrichtungen werden überlegen müssen, wie es möglich ist, ein eventuelles System von emotionaler Unterdrückung zu verhindern. Sowohl für die anvertrauten Kinder, als auch für die Verantwortung tragenden Personen, und dass es kein System der Förderung von Übergriffen geben darf.
Ebenso müssen die Hilfsstellen, Jugendämter, Ermittler, Richter, und die gesetzgebenden Organe dringend überprüfen, wie einerseits so ein System der Vertuschung möglichst verhindert werden kann, und andererseits ein System der Falschbeschuldigung und auch der unnötigen Verschlimmerung vermieden werden kann.

Das bedeutet, dass Kinder die bestmögliche Freiheit haben sollen, sich über erlebte Misshandlungen und sexuellen Missbrauch zu äußern.
Das bedeutet auch, dass Möglichkeiten, dass solche Äußerungen von Kindern (oder in der Zwischenzeit gealterten Menschen) eventuell nicht der tatsächlichen Realtität entsprechen, genauso offen und vorurteilsfrei überprüft werden müssen.

Das kann nach unserer Überzeugung nicht sauber in einem System funktionieren, in dem Kinder vor Gericht aussagen müssen (trotz spezieller "Vernehmungszimmer" und geschulter PsychologInnen), Kindern prinzipiell mehr geglaubt wird, weil sie ja Kinder sind, und wo es ein System des Offizialdeliktes gibt, d.h. wo quasi zwangsläufig ein Verfahren kommen wird, sobald einer offiziellen Behörde so etwas bekannt werden sollte.
In so einem System werden Kinder aus gutem Grund Angst haben, etwas zu sagen, sobald sie negative Auswirkungen für sich selbst oder für Angehörige fürchten, und genausogut werden Kinder dann Falschaussagen tätigen, sobald sie für sich selbst oder für Angehörige in dem Moment einen Vorteil darin sehen.
Den Mut, den die Betroffenen dieser furchtbaren Zeiten jetzt an den Tag legen, ist bewundernswert, denn das Brechen des Schweigens bedeutet nicht selten eine Auseinandersetzung mit den Traumatisierungen in einer Weise, die wohl kein Nichtbetroffener nachvollziehen kann.

Notwendigkeiten der Änderungen

Eine Lösung zur Verbesserung liegt klar auf der Hand: wir alle müssen mit Vorurteilen ganz besonders im Hinblick auf Missbrauch und Misshandlung brechen und "aufräumen", und immer wieder neu entgegen eigener Emotionen nüchtern und sachlich solche Dinge angehen.

Eine weitere und ebenfalls notwendige Lösung liegt sicherlich darin, die rechtlichen Bedingungen und Verfahrensweisen des bisherigen Systems des Offizialdeliktes zu verändern, und eine gesetzlich vorgeschriebene Beratung und Problemlösung in einer externen, außergerichtlichen Hilfsstelle vor einer Weiterverfolgung wahrnehmen zu müssen
(siehe Ausarbeitung
Sonderseite Misshandlung und Missbrauch, Januar 2008).

So wäre es möglich, dass sich Kinder auch außergerichtlich anderen Menschen hilfesuchend anvertrauen können, dass Problemlösungen gefunden werden könnten, und dass vor allem ein System des Verschweigens aufgrund der Angst vor einer Öffentlichkeit und rechtlichen Konsequenzen von vornherein vermieden wird.
Sicherlich würden mit einem so veränderten System TäterInnen deutlich schneller aufgedeckt, und gleichzeitig gäbe es mehr tatsächliche Hilfe für die Kinder, denn statt eines langwierigen und kindeswohlschädigenden Gerichtsprozesses gäbe es primär eine schnelle Soforthilfe und eine Vermeidung weiterer Schäden.
Ob es dann zu einer nachfolgenden strafrechtlichen Auseinandersetzung kommt oder nicht, sollten das Opfer und die Familie des Opfers selbst entscheiden dürfen, wobei das in einer Beratung mit der Hilfsstelle in Bezug auf mögliche weitere Opfer sehr genau abgewogen werden sollte.
Zwar besteht bisher keine Pflicht zur Anzeige bei Vorwürfen zu Missbrauch oder Misshandlung, aber viele Stellen sehen das derzeit als unumgänglich an und wägen nicht gut genug ab, ob mit einer strafrechtlichen Verfolgung mehr Schaden angerichtet wird oder Schaden vermieden werden kann.

Die notwendige Ausbildung für so eine verantwortungsvolle Tätigkeit der
Beratungs-/Clearingstellen muss dann ebenso wie die Finanzierung staatlich unterstützt und geregelt werden.
Leider werden den Hilfsstellen nach unseren Informationen aber ständig die Finanzierungen gekürzt, und selbst den Jugendämtern fehlt öfters eine geeignete Ausbildung.

Durch eine fachlich fundierte Ausbildung bei anerkannten und qualifizierten Stellen würde zudem vermieden, dass Menschen in Beratungssituationen eingesetzt würden, die selbst durch eigene traumatische Erlebnisse oder zu starke emotionelle Beeinflussung keine ausreichende sachliche Vorgehensweise anwenden können, sondern in einem "missionarischen Übereifer" möglichst sofort Beschuldigte rechtlich belangen wollen, und über dieses persönliche Ziel hinaus leider das notwendige Kindeswohl des aktuellen Falles aus dem Auge verlieren.
Solche Problematiken gibt es leider sehr oft, das betrifft freie Hilfsorganisationen genauso wie MitarbeiterInnen von Jugendämtern, Ermittler und Richter.

Auch in dieser Hinsicht ist eine Neuausrichtung dringend erforderlich, um im Sinne des tatsächlich realisierten Kindeswohles, aber auch im Sinne des Schutzes vor Falschbeschuldigungen sauber zu entscheiden.

Im Hinblick auf die Prozessordnung, das Vorgehen bei Strafverfahren und Ermittlungen und im Hinblick auf die Gesetze zur Wahrung und Förderung des Kindeswohles ist noch einiges zu leisten, das beginnt bei den konkretisierten Rechten von Kindern und hört bei einer sinnvollen Regelung für gerichtliche Prozesse und einer Vermeidung von falschen, erzwungenen "Geständnissen" auf.
Aber auch im Hinblick auf die Verantwortung von Privatpersonen, Eltern, Lehrern und Geistlichen zeigt sich dringender Handlungs- und Akzeptanzbedarf, und nicht zuletzt hat da die Bedeutung der Verantwortlichkeit der Presse eine wichtige Rolle.

Für uns alle gilt zur Vermeidung von Schäden:
Kommunikation, miteinander reden, zuhören, vorurteilsfreie Hilfe leisten.

Die Offenheit und das zugewandte Ohr schenken Kindern Selbstbewusstsein, und die gleiche Offenheit und eine nüchterne Abklärung in gelebter Kommunikation verhindert nach besten Möglichkeiten eine falsche Beschuldigung oder falsche Verurteilung, denn auch Kinder haben "Gründe" für eine Falschbeschuldigung, wobei diese Gründe nicht selten in der Welt er Erwachsenen liegt - unverschuldet von den Kindern selbst.

Seelischer und sexueller Missbrauch und körperliche Misshandlung geht uns alle an - und kann nur von einer Gemeinschaft bekämpft werden, die miteinander redet, kommuniziert, in sachlicher Weise mitteilt, und weder aufhetzt noch verschweigt.

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